Dudenalarm!

Kategorie: Free Speech Erstellt: Montag, 09. März 2020


(von Olaf Francke)
Konrad Duden hasst euch! Der Niedergang der deutschen Sprach- und Schriftkultur scheint nicht mehr stoppbar. "Gefühlte Orthografie" ersetzt das, was wir "Boomer" früher in der Schule gelernt haben: Hochdeutsch. Natürlich war Sprache immer etwas, das sich durch äußere Einflüsse verändert hat. Aber ob das immer zum Besten geschieht...


"Alda! Ischschöre, ey! Du Uhrrensohn! Isch ficke disch in Krankenhaus!" - So oder ähnlich laufen heute Dia- nein, Monologe ab, wenn sich Künstler der Unterhaltungsbranche etwas zu ... nunja ... "sagen" haben. Ein explizites Beispiel dieser eloquenten Kommunikationskultur hat Neidthard Kupfer in einem höchst amüsanten Facebookbeitrag unlängst aufgearbeitet. -> externer Link - Bei Twitter hört sich das im O-Ton dann so an: -> externer Link . Meine Forderung: Wir brauchen DRINGEND (!) einen Internetführerschein mit Zusatzprüfung für sprachlichen Ausdruck!

Call of Duden

Als Schriftsteller habe ich ein besonderes Verhältnis zu meiner Muttersprache, das von einer innigen Hingezogenheit geprägt ist. Ich versuche, mit Schrift und Sprache ansprechende (sic!) Wort-Bilder zu malen, um meinen Lesern ein fantasievolles Kopfkinoerlebnis zu bescheren. Ich denke, das gelingt mir - im Großen und Ganzen - recht gut.

Natürlich - und das gehört unbedingt dazu - fluche ich auch gern und das sogar recht leidenschaftlich. Wer mich persönlich kennt, der weiß, dass ich die Kultur des Fluchens zelebriere, um eine gewisse semantische Ausgewogenheit in meinem Gesamt-Kommunikationsbild zu erzeugen. Schließlich kann man ja nicht immer als Klugscheißer herumrennen. Aber (!) die Art und Weise, wie im Internet mit elektronischen Verbalinjurien um sich geschlagen wird, ist für mich in keiner Weise akzeptabel. Und auch die Art und Weise, wie die deutsche Sprache schleichend prekarisiert wird, bereitet mir ernste Sorgen. Das Übel, welches hier wuchert, zieht seine Kraft gleich aus einem Bündel von Wurzeln.

1) Mangelnde Bildung

Es ist  - gefühlt - noch gar nicht so lange her, da besuchten meine beiden Jüngsten noch die Orientierungsstufe. Anlässlich eines Elterngesprächs mit der Klassenlehrerin, die auch das Fach "Deutsch" unterrichtete, gestatte ich mir, das Gesprächsthema auf die zu diesem Zeitpunkt wirklich mangelhaften Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache bei meinen Sprösslingen zu lenken. Auf meine Frage, ob es nicht sinnvoll sei, den inhaltlichen Schwerpunkt im Unterricht etwas mehr auf den Bereich Orthografie und Grammatik zu setzen, kam - allen Ernstes! - die Antwort (ich werde das niemals vergessen): "Die Kinder müssen nicht richtig schreiben können, es reicht, wenn sie einigermaßen lesen können." - Da bin ich fast vom Stuhl gefallen, ich war wirklich sprachlos in diesem Augenblick. Später, als ich mich etwas abgeregt hatte, fiel mir der tiefere Sinn dieser Antwort auf. Klar, das sind ja Haupt- und Realschüler, die müssen gar nicht schreiben, die sollen nur Arbeitsanweisungen lesen können. Die Lehrerin hatte also einfach mal so den weiteren Lebensweg der Kinder vorwegbestimmt: Verrichtung niederer Tätigkeiten nach - bebilderter - schriftlicher Anweisung. Da ich meine Kinder liebe und will, dass sie sich irgendwann ein eigenes Lerben aufbauen, konnte ich mich mit der Reaktion dieses etwas seltsam anmutenden Lehrkörpers nicht recht zufriedengeben. Die Jungs sind jetzt auf dem Weg zu MSA und Abitur und sie haben Spaß am Lernen.

Aber hier stinkt der Fisch bereits vom Kopfe. Unser desolates, unterfinanziertes und von mittelmäßig gebildeten Lehrern bestrittenes öffentliches Schulsystem zieht im Grunde eine Generation von nützlichen Idioten heran. Die Kinder verlassen irgendwann die Bildungsanstalten mit Abschlüssen, die dem ursprünglichen Hauptschulabschluss ähneln und dennoch den Weg zu Universitäten ebnen, wo die jungen Leute dann etwas herumstudieren, bevor sie sich arbeitslos melden und irgendwann in einer Bratküche zum Mindestlohn rackern. Anders sieht es natürlich aus, wenn die Eltern gut betucht sind. Da gehen die Zöglinge dann auf anspruchsvolle Privatschulen für mehr als eintausend Euro im Monat, dafür lernen sie dort wenigstens Lesen UND Schreiben. Das werden dann die späteren Führungskräfte. Eine Familie mit zwei Kindern, in der Vater als Maurer und Mutter als Kassiererin arbeiten, wird niemals in den Genuss einer solchen Beschulung für ihre Kinder kommen.

Fächer wie Geschichte, Geografie, Politik und Soziales werden zu Mischmaschfächern wie "Weltkunde" eingedampft, um irgendwie den Stundenausfall zu kompensieren. Daraus resultiert nicht nur ein furchtbar lückenhaftes Bewusstsein der jungen Menschen für geschichtliche Zusammenhänge, politische Entscheidungsfindung, soziales Zusammenleben und gesellschaftliche Strukturen,  sondern die individuelle Sozialkompetenz wird erstickt in vollkommen sinnlosen schulischen Betätigungen wie Frühsexualisierung durch fragwürdige Interessenverbände, Zweckpolitisierung (wenn "Fridays for Future" plötzlich eine Schulveranstaltung ist) und Klassenfahrten, die mal eben fünfhundert Euro kosten.

Bildungsmangel

Von welchem Wissensschatz sollen diese jungen Menschen zehren, wenn die Aushilfslehrer nur noch Blödsinn verbreiten?

Eine weitere Anekdote. Ein Freund von mir wurde als Bibliothekar in einer großen Schule eingestellt. Sogenannter "Midi-Job" für bummelig achthundert im Monat, alimentiert vom Jobcenter. Im Laufe der Zeit änderte sich sein Beschäftigungsprofil jedoch. Er übernahm die gesamten thematischen Vorbereitungen für die Präsentationen der MSA-Kinder, er unterrichtete für die angehenden Abiturienten Geschichte (jüngere deutsche Geschichte, "Sie sind doch von drüben, Sie kennen das doch. Machen Sie mal"), er korrigierte die Handouts der Deutschlehrer, die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzten usw. usf. - Der Mann hatte keinerlei pädagogische Ausbildung, war nie für den Schuldienst vorgesehen und durfte das eigentlich nicht tun. Er wurde auch nicht entsprechend bezahlt, unbezahlte Überstunden im 100%-Bereich waren obligatorisch, der Mindestlohn damit eine fiktive Größe (also keine 7000,- im Monat). Als er in den Ruhestand verabschiedet wurde, bekam er in der Aula "Standig Ovations" von weit mehr als tausend dankbaren Schülern - verdient! Solche engagierten und selbstlosen Menschen sorgen dafür, dass die Kinder überhaupt noch irgendetwas lernen! Bei den offiziellen Lehrkräften sehe ich das nur sehr, sehr selten.

2) Sprachliche Verwirrung

Die zweite Wurzel des allgemeinen Niedergangs deutscher Sprache ist die gewählte Ausdrucksform. Legte man früher noch einigermaßen Wert darauf, mittels treffender Wortwahl das eigene Anliegen möglichst zweifelsfrei darzulegen, so gerät diese Kunst mit der Zeit offenbar ins Hintertreffen, was ich sehr bedauerlich finde. Wenn ich im Netz - besonders in den sogenannten "sozialen Medien" Beiträge oder Kommentare lese, frage ich mich nicht selten: "Was zum... meint der/die eigentlich?" Bisweilen jedoch findet man selbst bei angestrengtem Nachdenken nicht heraus, was der/die Betreffende meinen könnte. Fragt man dann nach, kommt meistens ein hingerotztes "Dann scroll doch weiter." oder "Bist du dumm?"

Sprachverwirrung

Info: Der DUNNING-KRUGER-EFFEKT als wesentliches Merkmal der digitalen Kommunikationskultur.
"Als Dunning-Kruger-Effekt wird die systematische fehlerhafte Neigung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen bezeichnet, das eigene Wissen und Können zu überschätzen." (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt). An der Cornell University erforschten Dunning und Kruger diesen Effekt und kamen 1999 zum Resultat, dass weniger kompetente Personen dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen, das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen. Und genau dieser Effekt verbreitet sich im Internet wie ein Virus.

Die Rechtschreibung verliert mehr und mehr an Bedeutung. Gefühlter Inhalt ("weißt schon...") beherrscht die Aussage, und wer den Buchstabensalat nicht entziffern kann, der ist eben doof, weil er nicht weiß, was gemeint ist. Sprache wird zusehends rudimentärer, der allgemeine Wortschatz sinkt von ca. 3000 auf vielleicht gerade noch 500 und das Sprachprekariat ersetzt die bildungsbasierende Kommunikation. Irgendwann werden die Menschen, die schon jetzt nur noch in IRC-Kürzeln und mittels Emoticons kommunizieren, sich gegenseitig wahrscheinlich nur noch grunzend irgendwelche Memes auf ihren Mobilfunkgeräten präsentieren.

3) Verrohung der Sprache

Einen ganz wesentlichen Anteil am Verfall der Sprache hat die scheinbare Anonymität des Netzes. Besonders seit es die Killer-App namens "Facebook" gibt, brüllen und pöbeln die Leute nur noch virtuell herum, als hätten Sie Tastatur-Tourette. In den Threads von Facebookgruppen, deren Thematik sich um Politik, Verschwörung und Asyl dreht, ist es besonders schlimm. Jeder, der nicht bedingungslos mit der Meute heult, wird linguistisch auf unterstem Niveau weggebissen. Ich bin, was diesen Effekt angeht, in letzter Zeit förmlich schockiert, wie diese Unsitte mehr und mehr um sich greift. Fäkalsprache ist an der Tagesordnung, übelste Beschimpfungen und Beleidigungen hält der Pöbel für "Meinungsäußerung".

Sprachverrohung

Es ist ein interessantes Phänomen, das es früher in Schnapsrunden am Stammtisch zwar auch schon gab, aber ich bilde mir ein, früher war es nicht so schlimm wie heute. Jeder, der eines dieser schicken, neuen Mobilfunkgeräte auch nur ansatzweise bedienen kann, nimmt sich heraus, sein persönliches Dafürhalten als "freie Meinungsäußerung" in den Äther hinauszuschreien. Eines der hervorstechendsten Beispiele dieser zweifelhaften Zunft ist z.B. ein gewisser Herr "Curd Schumacher", der in einer Art und Weise herumschreit, die schon fast eine Zwangseinweisung rechtfertigt. Kostprobe gefällig? -> https://youtu.be/IYShbB9ShXk (Ton besser auf "leise" stellen!)

Soll DAS die neue Form von gesellschaftlicher Kommunikation werden? Wir pöbeln rum, schreien uns an, einer lauter als der andere? Ich muss sagen, das will mir unter keinen Umständen gefallen. Wenn diese Leute es wenigstens mit Witz, Charme oder einer gewissen Intelligenz tun würden, wie z.B. ein Herr Wilfried Schmickler, oder in früheren Zeiten Hans-Dieter Hüsch und Dieter Hildebrand (mit eher leisen Worten) - aber dieses affenartige, proletenhafte Gepöbel ist - im Wortsinn - widerlich.

Zumeist verstecken die Pöbelbarden und Kommentarzeilen-Hassprediger sich ja hinter Fake Accounts und Fantasienamen, aber wenn dann doch mal einer von ihnen gestellt wird und sich z.B. vor einer Kamera erklären soll, dann werden sie plötzlich ganz klein mit Hut, die Wutbürger. Dann war das alles "nicht so gemeint" oder wird dreist als "Satire" deklariert. Kaum sind sie jedoch wieder für sich, wird der Knüppel wieder aus dem Sack gelassen und gepöbelt, dass selbst ein Hafenarbeiter blass wird um die Nase.

Fazit.

Ich bin ja weiß Gott kein Freund der Regierenden und ich stehe mit allem, was ich tue - auch mit meinem Namen - für Free Speech und die zensurfreie Äußerung der eigenen Meinung ein. Aber um eine Meinung frei äußern zu können, muss man erstmal eine haben. Nicht jeder Furz, der quer sitzt, nicht jedes bloße Dafürhalten und nicht jede unappetitliche Befindlichkeit ist automatisch eine Meinung.

Eine Meinung ist nämlich ein argumentativer Standpunkt, den ich mir nach Abwägung aller zur Verfügung stehenden Fakten gebildet habe und den ich persönlich für ethisch vertretbar halte. Und um meine Meinung frei zu äußern, bedarf es auch gewisser Hilfsmittel sprachlicher Natur. "Alles Scheiße! Du doof! Ficken!" ist (wenn man nicht gerade unter Tourette leidet) keine Meinungsäußerung, sondern eine geistige Bankrotterklärung.

Und Bankrotteure dieser Art sehe ich jeden Tag. An der Kasse im Supermarkt, wenn sie mit gegelten Nägeln der Frau Bundeskanzlerin erklären, warum sie ihren Job so schlecht macht oder wenn sie im Feinripp am Fliesentisch sitzend der Regierung mal so richtig die Meinung geigen oder wenn diese Leute in Schwiemelgruppen ihr unendliches geheimes Wissen ventiliren und jeden, der das anzweifelt, mit übelsten Flüchen belegen.

Solche Leute brauchen wir nicht. Wir brauchen sie nicht im Netz, wir brauchen sie nicht in der Schule, wir brauchen sie nicht als Kindererzieher.

Merke: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod!

Ich habe fertig.

Schlussbild

 

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