Die Milch macht's!

Kategorie: Denk-Anstoß Erstellt: Montag, 02. Mai 2022

Die Agrarwirtschaft lässt nichts unversucht, um uns ihre industriell erzeugten Produkte als "natürlich" und qualitativ hochwertig zu verkaufen. Schauen wir uns das einmal an. Anspruch und Realität gegenübergestellt. Ja?

Bauernhofidylle und Realität

Unlängst begründete eine große Handelskette ihre Preiserhöhung für Milchprodukte mit "geänderter Haltungsform" und "mehr Tierwohl". Das fand ich ja zunächst einmal unheimlich toll und bin dann sofort mal ins Dorf gegangen, um nachzusehen, wie sich die Bedingungen in den riesigen Ställen der Milchlieferanten hier so verändert haben.

Okay, auf den ersten Blick hat sich das mal nicht geändert. Eine Weide sehen die Tiere nur vor der ersten Laktation und eventuell als Trockensteher vor dem Kalben für vier Wochen. Ansonsten stehen sie in einem Großraumstall, dessen Wände aus Jalousien bestehen, die im Winter oder bei extremer Sonne heruntergefahren werden. Meist handelt es sich um HF-Rinder, die durch jahrzehntelange Selektion zu Hochleistungsmilchkühen herangezüchtet wurden, deren jährliche Milchleistung nicht selten bei weit über 15.000 Litern liegt, wobei die Erkrankungsrate der Tiere in der Frühlaktationsphase bei etwa 50% liegt. In den ersten 100 Tagen nach der Abkalbung kann die Kuh nicht genug fressen, um den Energiebedarf auszugleichen, weshalb hochverdauliche LGAN-Maissorten einen Anteil von über 60% der Ration des Grundfutters ausmachen, zuzüglich ca. 250g Kraftfutter pro Liter Milch [1]. Die Nutzungsdauer beschränkt sich oft auf nur 3-5 Jahre, dann sinkt die Milchleistung und es geht ab zum Schlachter. [2]

Um einen Liter Kuhmilch zu erzeugen, wurden 2018 etwa 628 Liter Wasser verbraucht [3]. Bei einer Erzeugung von etwa 33 Millionen Tonnen Kuhmilch mit etwa 4 Millionen Kühen lag der Wasserverbrauch 2020 statistisch bei ungefähr 20.724.000.000.000 Litern Wasser [4] zuzüglich ca. 10.000.000.000 kg Kraftfutter. Gut die Hälfte der Milch wird aus Grundfutter (Gras- und Maissilage) erzeugt [5].

Von 2000 bis 2020 hat sich die Anzahl der Milchviehbetriebe in Deutschland halbiert, der Tierbestand pro Betrieb mehr als verdoppelt. Die Ställe werden immer größer und täglich werden Neubauten errichtet. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Milch und Milchprodukten ist in einer Tabelle des Milchindustrieverbandes ausgeführt, er ist leicht rückläufig mit derzeit etwa 50 Liter Konsummilch zuzüglich etwa 100 kg Milcherzeugnisse [6].

Der rückläufige Absatz, der auf ein zunehmendes Produktbewusstsein bei den Endkunden zurückzuführen ist, soll durch Imagekampagnen nun abgefangen werden. Die Industrie, die durch Tier- und Verbraucherschutzorganisationen zunehmend unter Druck gerät, versucht sich durch den Begriff vom "TIERWOHL" im Greenwashing. Damit kann man zwei Effekte erzielen:

Kommen wir also zurück auf den eingangs erwähnten Supermarkt, der H-Milch palettenweise anbietet. Vor einiger Zeit kostete ein Liter ca. 60 Cent, jetzt 83 Cent mit neu gestalteter Packung.

Milchpackung mit Labels

Schauen wir uns diese tollen, bunten Siegel und Badges einmal an. Gehen wir der Reihe nach vor.

1) "Qualität aus Deutschland" - mit diesem, in nationalfarben gehaltenen Herzchen will der Verkäufer seine Regionalverbundenheit demonstrieren und an das Bedürfnis des Kunden nach regionaler Versorgung appellieren. Tatsächlich stammt der größte Teil der in Deutschland verkauften Konsummilch auch aus Deutschland. Der für deutsche Lebensmittelketten tätige niederländische Molkereikonzern Friesland Campina zum Beispiel will daher nichts von Verbrauchertäuschung wissen. Allerdings holt er seine Frischmilch z.B. der Marke „Mark Brandenburg“ nicht von dort, sondern „von Landwirten aus Nordrhein-Westfalen, der Rest kommt aus Hessen und Rheinland-Pfalz“, wie das Unternehmen selbst schreibt. Die Molkerei steht in Köln. [7].

2) "Mehr Tierwohl mit dem ALDI Haltungswechsel" - Dass der Albrecht Konzern Kühe hielte, ist jetzt nicht unbedingt bekannt, trifft auch nicht zu. Die genannte Firma wechselt also erstmal gar nichts, außer Verpackungsdesign und Abverkaufspreis. Die Haltung der Milchkühe richtet sich nach gesetzlichen Vorgaben und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

3) "Haltungsform 3 Außenklima" - eine reine Augenwischerei, zumal darunter ein Emblem gezeigt ist, das suggeriert, es ginge hier um "Weidehaltung". Der Begriff "Außenklima" bedeutet, dass schlichtweg die Wände beim Stallbau eingespart wurden, dafür gibt es Planen oder Jalousien, die z.B. Schneeeintrag im Winter verhindern sollen und direkte Sonneneinstrahlung abhalten. Die Haltungsform 3 besagt:

Zauberwort: "Offenfrontlaufstall" - das bedeutet faktisch:  bis zu 2.000 Milchkühe in einem riesigen, offenen Stall mit Liegeboxen, Betonspalten und Umlaufgang über dem Güllekanal. Das sieht dann so aus (Beispielbilder):

Milchviehgroßbetrieb

4) Das hübsch grüne Label mit der niedlichen Kuh "PRO WEIDELAND" gehört einem Konsortium aus Industriebetrieben (z.B. "Arla", "Friesland Campina" s.o.) und einigen Behörden, es soll der "Förderung der Weidehaltung" dienen, was keinesfalls bedeutet, dass diese auch praktiziert wird [8]. Aber es sieht ja hübsch aus.

5) "DLG Goldener Preis 2022" - die DLG ist eine Industrieinstitution, die Prämien und Preise für Produkte vergibt, wenn man dort zahlendes Mitglied ist und sein Produkt anmeldet. Diese angeblichen Qualitätssiegel kann der Hersteller dann auf sein Produkt drucken. Wie man für ein ekelhaftes Produkt ohne jede Prüfung und mit falschen Angaben an dieses Premiumsiegel kommt, wies die ZDF Sendung "Frontal21" nach [9].

6) "Keine Anbindehaltung" - faktisch ist die ganzjährige Anbindehaltung bereits seit 2016 verboten, sie soll nun "auslaufen", heißt es. Obwohl es eine nach dem Tierschutzgesetz verbotene quälerische Haltung ist, wird sie in einigen Kleinbetrieben noch praktiziert. Faktisch ist die Anbindehaltung für Großbetriebe völlig nutzlos und unwirtschaftlich, das hat allerdings nicht mit "Tierwohl" zu tun, sondern mit Kosteneffizienz [10]. Aber als Werbeargument macht es sich gut. Übrigens bedeutet "Futter ohne Gentechnik" nicht, dass das Futter keine gentechnisch veränderten Bestandteile enthält.

Pfeil) Standort des Konsumenten in diesem Fall, ungefähr 100m Luftlinie von drei milcherzeugenden Betrieben entfernt.

7) Der Aufdruck auf der Milchpackung sagt ausdrücklich nur: "MIT Milch aus NRW/RP", das lässt einiges offen. Wie beim leckeren Bienenhonig, der "MIT Honig aus Eu-Ländern" hergestellt wurde, aber zum größten Teil aus chinesischem Ahornsirup besteht.

8)  "DE RP 247 EG" - Die Milchnummer verweist auf den internationalen Konzern ARLA, Werk in Pronsfeld, Rheinland-Pfalz. Arla Foods ist einer der größten europäischen Molkereinkonzerne. Entstanden ist Arla durch Fusion des dänischen Unternehmens MD Foods mit der schwedischen Arla-Gruppe. In Deutschland wuchs Arla durch die Fusion mit der Milchunion Hocheifel und Hansa-Milch sowie der Übernahme der Allgäuland Käsereien, der Konzern ist Produktionspartner von Nestlé [12].

9) "Ohne Gentechnik" - klingt gut, ist jedoch reine Augenwischerei. Ausnahmen gelten besonders bei Futtermitteln nämlich reichlich. Zum Beispiel Futtermittelzusätze wie Aminosäuren und Enzyme, die von gentechnisch veränderten Bakterien erzeugt werden oder Tierarzneimittel, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden oder diese enthalten, sind durchaus erlaubt [11]. Der Begriff "Futter ohne Gentechnik" ist also nur bedingt zutreffend, dazu werden die Futterbestandteile zu großen Teilen z.B. aus Südamerika eingeführt, wo der Regenwald für die Produktionsflächen gerodet wird.

10) "Verpackungsmission Aldi" - der Lebensmitteldiscounter bringt ein weiteres - natürlich in vertrauenserweckendem Grün gehaltenes - Siegel ins Spiel. Richtig ist, dass inzwischen auf Aluminium verzichtet wird, und zwar aus folgendem Grund: Die DUH hat zweifelsfrei nachweisen können, dass das von der Industrie vielgepriesene "sortenreine Recycling" faktisch nie stattgefunden hat. Die aluminiumhaltigen Verpackungsbestandteile wurden schlichtweg nach China exportiert, wo das Aluminium angeblich recyelt wurde [13]. Grundsätzlich bezieht sich die "Verpackungsmission" übrigens auf Kunststoff. Der nette Hinweis auf die "Gelbe Tonne" ist lediglich Dekoration. FSC MIX C020428 bedeutet,  dass das Papier für die Tetra Packungen ZUM TEIL aus "nachhaltig bewirtschafteten Wäldern" bezogen wird, die nach dem "Forest Stewardship Council" zertifiziert wurden. Andere Bestandteilquellen sind Recycling oder "kontrollierte Quellen". Der Zusatz "Karton aus verantwortlichen Quellen" bezieht sich allein auf den waldbasierten Papieranteil, der aus importierten Bestandteilen zusammengesetzt sein kann. Zitat FSC: "Das FSC-Label bezieht sich ausschließlich auf Teile des Produkts, die aus dem Wald stammen. Es trifft keinerlei Aussagen über Herstellung oder Qualität von weiteren Materialien wie Kunststoff am Produkt." [14]

Soweit also die Analyse der Milchverpackung des Discounters, der sich da so unglaublich nachhaltig präsentiert, was natürlich seinen Preis hat. Tatsächlich hat sich für die Milchkuh NICHTS geändert. Sie steht noch immer mit Mortellaro in den verfaulenden Klauen auf ihrer Scheiße, wenn sie über den Betonboden humpelt und wird von den Melkrobotern oder Akkordmelkern im Karussell leergemacht, bis dann das leistungsunfähige Klappergestell auf einen Viehtransport in den Libanon geht, um dort "halal" geschächtet zu werden, oder sie endet als Separatorenfleisch in der "DLG-prämierten" Gourmetwurst.

Oh, und wer meint, der Herr Störenfried solle sich doch erst einmal informieren, bevor er so böse Sachen schreibt (wurde mir unlängst auf einer Fanseite des Bauernverbandes vorgeworfen) ... Ich bin gelernter Tierwirt Fachrichtung Schweine- und Rinderhaltung. Ich weiß durchaus, was ich da schreibe und es hat Gründe, dass ich diesen Beruf aufgegeben habe. Ich selbst bevorzuge übrigens mittlerweile milchähnliche Produkte aus Leguminosen.


[1] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:30h: https://www.milchpur.de/futter/grundfutter/futteraufnahme-steigern-aber-wie/
[2] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:30h: https://www.wir-sind-tierarzt.de/2016/03/milchleistung-bei-hf-kuehen/
[3] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:35h: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1179343/umfrage/wasserverbrauch-von-kuhmilch-und-pflanzlicher-milch/
[4] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:40h: https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaftliche-produkte/wie-werden-unsere-lebensmittel-erzeugt/tierische-produkte/milch
[5] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:45h: https://www.landwirtschaft-bw.info/pb/site/lel/get/documents/MLR.LEL/PB5Documents/lazbw_gl/Grundfutterleistung.pdf%3Fattachment%3Dtrue
[6] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:55h: https://milchindustrie.de/wp-content/uploads/2020/04/ProkopfDeutschland_Mopro_2014-2020x_Homepage.pdf
[7] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 08:50h: https://taz.de/Werbung-und-Wirklichkeit/!5129181/
[8] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:15h: https://www.testwatch.de/ratgeber/381-pro-weideland
[9] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:18h: https://utopia.de/wurst-fleisch-zdf-frontal-21-86826/
[10] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:40h: https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/vg-muenster-untersagt-ganzjaehrige-anbindehaltung-von-rindern/
[11] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:42h: https://www.transgen.de/recht/499.lebensmittel-ohne-gentechnik.html
[12] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:45h: https://www.nestle.ch/de/engagement/unsere_rohmaterialien/unsererohmaterialien/milchprodukte
[13] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:55h: https://utopia.de/umweltfreundliche-getraenkekartons-verbrauchertaeuschung-1937/
[14] Quelle, gesichtet am 02.05.2022; 09:58h: https://www.fsc-deutschland.de/download.fsc-mix-infopapier.a-1682.pdf

 

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