Der verzauberte Zoo - eine Gutenachtgeschichte

Kategorie: MfS News Erstellt: Donnerstag, 11. Juni 2020 Drucken

(von Olaf Francke)
Heute Nacht träumte es mich unterhaltsam. Eine Kindergeschichte zum zu-Bett-Gehen. Was soll ich machen? Ich muss sowas einfach aufschreiben. Es ist meine Natur.

Der verzaubnerte Zoo

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-> http://www.der-stoerenfried.de/podcast/pc_zoo.mp3

„Nein, Mister Moneypenny, ich werde nicht an Sie verkaufen!“
Mrs. Adele Moorbrooke, ihres Zeichens Inhaberin des kleinen Tierparks von West-Chesterfield, war ziemlich aufgebracht. Seit Wochen nun nervte dieser aufgeblasene Wichtigtuer Horatio Moneypenny sie mit seinem Kaufangebot für das schöne, in einem kleinen Wald gelegene Gelände.
„Ich werde nicht zulassen, dass Sie den Zoo, den mein verstorbener Gatte - Gott hab ihn selig - errichtete in … eine Plastikwelt verwandeln!“
Tatsächlich hatte Mister Moneypenny konkrete Pläne für dieses idyllisch am Ortsrand gelegene Gelände. Er wollte den Zoo schließen, die Tiere verkaufen und einen Vergnügungspark errichten.
„Aber Mrs. Moorbroke, meine Liebe,“ säuselte der dicke Mann mit dem Zylinder und dem Gehstock, „stellen Sie sich einmal vor, wie wunderschön es hier sein wird. Die vielen bunten Lichter, Karussells, eine Achterbahn, Bowling, eine Eissporthalle und Cafés, dazu Einkaufsmöglichkeiten. Die Leute werden es lieben. Und seien Sie ehrlich, in ihrem Zoo ist doch wirklich nicht mehr viel los. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Sie sollten mein Geld nehmen und sich den Rest ihres Lebens damit versüßen.“
Doch die Eigentümerin des Geländes blieb hart.
„Ich möchte, dass Sie mich jetzt verlassen, Mister Moneypenny. Wir sind hier fertig.“
Der Mann setzte eine finstere Miene auf, als er in der Tür stand und sich noch einmal umdrehte.
„Sie werden es bereuen, Mrs. Moorbrooke. Das nächste Mal, wenn wir uns treffen, werden Sie es sein, die mich bittet, zu kaufen. Und dann wird mein Angebot gewiss nicht so großzügig ausfallen wie jetzt. Denken Sie darüber nach.“
Die rüstige alte Dame zog die Augenbrauen hoch.
„Guten Tag, Sir.“

Als er gegangen war, schnaufte sie hörbar und musste sich erst einmal setzen. Sophie, ihre treue Bedienstete, reichte ihr ein Glas Wasser.
„Ich weiß nicht,“ sinnierte Mrs. Moorbrooke, „was dieser Schnösel sich einbildet. Nur weil er einen Haufen Geld hat, gehört ihm noch lange nicht die ganze Welt. Und die Leben meiner Tiere kann er nicht mal eben kaufen wie diese dicken Zigarren, mit denen er die Luft verpestet.“
„Er ist sehr mächtig und hat einflussreiche Freunde. Darunter sollen auch äußerst zwielichte Gestalten sein, sagt man.“, bemerkte Sophie.
„Ach, was will er einer alten Frau schon antun? Der kocht doch auch nur mit Wasser. Und jetzt an die Arbeit, die ersten Gäste kommen bald. Hat Phineas die Tiere gefüttert?“
„Selbstverständlich, Madame. Alles ist bereit.“

Eine Stunde später öffnete der kleine Tierpark und einige Familien mit ihren Kindern betraten die gepflegten Grünanlagen, in denen es gut drei Dutzend liebevoll gestaltete Gehege gab, in denen sich exotische Tiere wohl fühlten. Es gab auch einen hübschen Ententeich in der Mitte des Parks und sogar einen Streichelzoo, in dem selbst die Kleinsten süße Ziegenbabys und flauschige Kaninchen füttern und anfassen konnten. Auch viele putzige Meerschweinchen liefen im Park frei herum. Es gab eine große gläserne Halle beim Ententeich, darin wuchsen Palmen und bunte Papageien flogen darin.

Der Parkwächter, ein netter junger Mann namens Phineas Soydberg, kümmerte sich mit einigen Helfern stets liebevoll um die Tiere und die wunderschönen Grünanlagen, sodass der Park für alle Besucher ein Ort der Erholung blieb. Die älteren Menschen aus der Stadt kamen häufig hierher, um die Ruhe und den schönen Park zu genießen, denn bereits seit fünfzig Jahren führten die Moorbrookes diesen Zoo. Der Park war nicht besonders groß und es gab auch keine Elefanten oder Giraffen oder Tiger hier, aber dafür Zebras, Äffchen, Antilopen, Pfauen, Lemuren, Flamingos, eine Bisonfamilie, Biber, riesige uralte Schildkröten, Tapire, einen weißen Hirsch und sogar einige Schlangen und viele tropische Fische im Vivariumhaus. Künstler kamen hierher, um Bilder zu zeichnen und zu malen und den guten selbstgebackenen Kuchen in Mrs. Elders kleinem Café am Ententeich zu genießen. Alles in allem war dies ein äußerst idyllischer Ort.

Wie immer machte Phineas Soydberg nach der Frühstückspause einen Rundgang im Park, um nach dem Rechten zu sehen und die schöne Atmosphäre zu genießen. Doch an diesem Tag fühlte sich der Park irgendwie anders an. Die Gäste wirkten zum Teil verstört, einige der kleineren Kinder weinten sogar. Auch die Geräusche im Park waren irgendwie anders als sonst. Die Tiere benahmen sich merkwürdig. Sie wirkten unruhig, wie, wenn sich ein Gewitter oder Sturm näherte. Die Huftiere stampften auf den Boden und schnaubten, die Vögel flatterten nervös hin und her und die Affen kreischten und bleckten ihre Zähne. Die Enten, die auf den Wegen watschelten, zwickten die Besucher in die Hacken und im Streichelzoo herrschte heilloses Durcheinander. Bereits um die Mittagszeit war der Zoo ohne Besucher, die Mütter hatten ihre Kinder schnell aus dem Park herausgebracht, aus Angst, ihnen könnte hier ein Leid geschehen.

Drei Tage hintereinander ging das so und keine Besserung war in Sicht, im Gegenteil, es wurde im Grunde mit jedem Tag schlimmer. Sogar die Polizei war angerückt, um sich der Sache anzunehmen. Die Besucher blieben beinahe komplett aus.

Am Nachmittag des vierten Tages saß Phineas bei Mrs. Moorbrooke im Wohnzimmer, Sophie servierte Tee und Gebäck.
„Was ist mit unseren Tieren los, Phineas? Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Sie sind völlig verwirrt. Was ist da los?“
Der junge Mann mit der kecken Stirnlocke stellte seinen Tee beiseite. Er druckste ein wenig herum.
„Ich bin mir nicht sicher, Mrs. Moorbrooke, was ich dazu sagen soll. Das Verhalten der Tiere ist unnatürlich und es wird nicht besser. Ich habe den Park genauestens inspiziert, sogar Wasser- und Stromleitungen geprüft, ob da irgendetwas nicht stimmt. Ich habe das Futter getestet und die Wetterberichte verglichen, sogar den Park auf ungewöhnliche Geräusche abhören lassen - ohne Ergebnis. Es gibt keine logische Erklärung für diese Vorkommnisse.“

Mrs. Moorbrook klang schon beinahe verzweifelt.
„Aber irgendetwas muss doch geschehen sein. Es fing an dem Tag an, als dieser unsympathische Moneypenny den Park kaufen wollte. Könnte er etwas mit der Sache zu tun haben? Hat er vielleicht gar unsere Tiere vergiftet? Wenn das noch länger so weitergeht, werde ich den Park schließen müssen und dieser Grobian bekommt schlussendlich, was er wollte.“

Ein kleines Tränchen kullerte über Mrs. Moorbrookes Wange, das sie mit der Serviette abtupfte. Sophie, die mit der Teekanne in der Hand am Tisch stand, ruckte mit dem Kopf in Phineas Richtung, der hilflos mit den Schultern zuckte.
„Sag es schon.“, flüsterte sie ihm zu.
Mrs. Moorbrooke wurde aufmerksam.
„Was soll er mir sagen, Sophie?“
Und - etwas förmlicher - zu Phineas gewandt:
„Mister Soydberg. Gibt es da etwas, dass ich wissen sollte?“
Phineas druckste herum.
„Nun ja… also, es ist ja so. Wenn etwas nicht durch gewöhnliche Umstände erklärbar ist, dann muss die Erklärung, die treffend ist, so seltsam sie auch ist, die richtige sein.“
„Was genau wollen Sie mir damit sagen?“
„Nun, es könnte sein, dass… unter Umständen …“
„Magie!“, fiel Sophie ihm ins Wort.
Mrs. Moorbrooke starrte die beiden an, als habe der Schlag sie getroffen.
„Wie bitte? Magie? Wollen Sie beide mich auf den Arm nehmen?“
Die Art, wie sie ihre Angestellten mit 'Sie' ansprach, deutete darauf hin, dass sie dieser Sache alles andere als zugetan war. Phineas versuchte, sie zu beruhigen.
„Mrs. Moorbrooke. Ich versichere ihnen, dass ich alles andere als Ursache definitiv ausschließen kann. Das ist die einzige Erklärung. Gerald, der Gärtner, hat in den letzten Tagen an jedem Nachmittag eine männliche Person beobachtet, die sich in der Nähe der Obstwiese zu schaffen machte, er konnte allerdings nicht erkennen, wer es war oder was der Mann dort tat. Aber er war sehr geheimnisvoll. Ich habe mich gestern in den Holunderbüschen auf die Lauer gelegt und ihn beobachtet. Er ließ sich im Park einschließen und hat des Nachts, wenn der Mond hoch stand, Dinge getan, die eindeutig der Zauberei zuzuordnen sind. Am nächsten Morgen wurden die Tiere dann wieder unruhig.“

Jegliche Farbe wich aus Mrs. Moorbrookes Gesicht. Magie. Jemand verzauberte ihren Zoo. Sie hatte solcherlei Dinge stets für Märchen gehalten, aber wie Phineas richtig gesagt hatte, es blieb die einzig mögliche Erklärung.
„Das ist total verrückt!“ rief sie aus.
„Ich weiß,“ entgegnete Phineas, „aber ich versichere Ihnen, dass es sowas wie Zauberei und Magie tatsächlich gibt. Und ich befürchte, dass der Zauberer, der die Tiere verwirrt, von Mister Moneypenny geschickt wird, um Sie zu ruinieren.“

Für Mrs. Moorbrooke brach eine Welt zusammen. Sie war völlig ratlos, was sie gegen solch fiese Attacken unternehmen sollte. Ihr taten die Tiere leid, die von diesem Zauberer gequält wurden, um den Park zu zerstören.
„Was sollen wir tun?“, fragte sie verzweifelt. Sophie lächelte.
„Ich glaube, Phineas hat da eine Idee, Madame.“
Die alte Dame blickte ihren Parkchef verdutzt und zugleich fragend an.

„Na ja,“ meinte dieser, „manchmal ist es hilfreich, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Also sollten wir einen Gegenzauber wirken.“
Mrs. Moorbrooke stutzte.
„Wie soll das denn gehen? Stehen die Zauberer neuerdings im Telefonbuch? Unter Z wie Zimmermann?“
Aus Sophie platzte es förmlich heraus.
„Phineas ist ein Magus. Er kann zaubern und den Park retten!“
„Ist das wahr, Mister Soydberg?“ fragte die Chefin erstaunt.
„Nunja, es ist in der Tat nicht ganz falsch, Mrs. Moorbrooke. Ich stamme aus einer Familie, in der Magie seit Generationen eine gewisse Bedeutung hat.“
„Dann bitte ich Sie inständig: Retten Sie den Tierpark, Mister Soydberg. Er ist doch alles, was mir geblieben ist!“
Phineas nickte und trank einen Schluck Tee.

Eine Stunde später, exakt zur Mittagszeit, als die strahlende Sonne über dem Park schien, stand er genau in der Mitte des Zoos auf der kleinen Halbinsel des Ententeiches und fuchtelte scheinbar wild mit dem Armen herum. Dabei sagte er Verse in einer Sprache auf, die hier niemand verstand. Es hätte eh niemanden gestört, denn Besucher kamen an diesem Tag nicht.

Bis auf einen. Am späten Nachmittag erschien wieder der seltsame Mann mit dem grimmigen Gesicht, der sich in den Anlagen beim Obstgarten versteckte. Phineas hatte ihn heimlich beobachtet und alle Helfer angewiesen, sich heute von diesem Ort fern zu halten und den Mann nur ja nicht anzusprechen.

Als die Sonne versank und es dunkel wurde, trat der Mann aus dem Dickicht hervor und begann erneut, seinen bösen Zauber zu wirken. Die Tiere wurden sofort wieder nervös. Doch plötzlich geschah etwas, mit dem der Zauberer wohl nicht gerechnet hatte. Der Wind nahm zu, es wurde stürmisch um ihn, Blitze zuckten vom Himmel. Über ihm erschien ein Fabelwesen, ein roter Drache mit bedrohlichem Maul, riesigen Zähnen und furchterregenden Hörnern auf dem Schädel. Der Zauberer wirkte irritiert, er versuchte, seine böse Magie gegen das Wesen einzusetzen, doch diese prallte von ihm ab wie Regentropfen von einer Fensterscheibe. Der Drache schlug mit seinen Schwingen und das mächtig Maul schnappte nach dem Zauberer. Dieser geriet in Panik, die Furcht übermannte ihn und er lief um sein Leben. So schnell die Füße ihn trugen, verließ der den Park und sein Bann war gebrochen.

Der Drache löste sich im Nachthimmel auf und der Wind ließ augenblicklich nach. Die Tiere beruhigten sich merklich und die Kälte der bösen Magie wich der sommerlichen Wärme einer lauen Nacht.

Als der Park am nächsten Morgen öffnete, machte er noch einen freundlicheren  und schöneren Eindruck als sonst. Selbst die Farben der vielen Blüten in den Blumenbeeten wirkten kräftiger. Die Tiere waren wieder ruhig und friedlich, als wäre nichts geschehen. Als Phineas nach seinem Rundgang am Morgen bei Mrs. Moorbrooke vorbeischaute, war diese voller Freude und drückte ihm zum Dank die Hand.
„Mister Soydberg, ich weiß ja nicht, was Sie getan haben und wie sie es angestellt haben - und ehrlich: ich will es gar nicht wissen - aber ich habe vorhin eine Nachricht von Mister Moneypenny erhalten, in der er mir mitteilte, er sei nicht länger am Erwerb des Zoos interessiert. Sie haben uns alle gerettet. Dafür möchte ich Ihnen von Herzen danken.“
Phineas lächelte.
„Ich habe es gern getan. Aber nun muss ich in den Park. Ich vermute mal, heute werden eine Menge Besucher kommen, um unsere neueste Attraktion zu bewundern.“
„Wir haben ein neues Tier? Warum weiß ich davon nichts?“
„Sehen Sie aus dem Fenster, Mrs. Moorbrooke. Gleich dort, am Ententeich.“

Die Chefin trat ans Fenster und sah zum Ententeich hinüber. Dort auf der Wiese, zwischen Gänseblümchen und Flamingos graste friedlich ein weißes Einhorn mit langer, wallender Mähne. Es hob den Kopf und wieherte fröhlich.

Ende

 

 

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