Die Wahrheit der Lüge

Kategorie: Rezension Erstellt: Sonntag, 23. Februar 2020 Drucken

(von Olkaf Francke)

Ein weiteres tiefgehendes Werk aus den Händen des cineastischen Bürgerschrecks Roland Reber, der mit seinem unabhängigen Filmteam weltweit Preise auf Festivals abgreift.

Die Wahrheit der Lügfe

Im Interview zum Film sagt Marina Anna Eich: Die Verlegerin symbolisiert das Schicksal, das mit Ratschlägen oft hart und unbarmherzig, aber unterstützend eingreift und alle Fäden in der Hand hat.

Nun, das würde voraussetzen, dass es so etwas wie Schicksal gibt, was ich für einen Irrtum halte. So ganz einfach ist das mit den Rollen in Rebers neuestem Filmwerk "DIE WAHRHEIT DER LÜGE" dann doch nicht. Der Meister des Low-Budget-Kinotheaters hat wieder zugeschlagen. Schonunglos führt er gemeinsam mit seinen Darstellern, dem vertrauten Team aus Allround-Talenten, seine Zuschauer an die Grenzen ihrer kognitiven Belastbarkeit, um sie (mit dem Worten des Hauptdarstellers) "auf den Gipfel" zu bringen. Was allerdings für Reber der Gipfel der Erkenntnisfähigkeit, ist für manchen "Normalbürger" der Gipfel der Unverfrorenheit. Rebers Filme sind nichts für Chipstütenabonnenten, das weiß wohl inzwischen jeder, der einen oder mehrere seiner Filme gesehen hat. Roland Reber hat eine Mission, die Mission: "Ecce Homo!" Und er nimmt diese Aufgabe ernst. So geht es also auch in diesem neuen Streifen um die Selbst-Erkenntnis, Menschwerdung, um das Überschreiten der moralischen Grenzen. Begleiten wir also unseren cineastischen Zöllner ein wenig auf dem Spaziergang entlang der Demarkationslinie des "guten Geschmacks".

Grenzen kann man nur bestimmen, wenn man sie zumindest einmal überschritten hat. Die Grenzthematik ist bestimmend für den Plot.- Reber spielt mit der Polarität und schielt dabei heimlich auf die dreiwertige Logik. Alle Beteiligten stellen fest, dass Grenzen sich verschieben, wenn man sie erreicht, und dass nicht immer ein Zollbeamter da ist, um eine Grenze zu bestimmen. In der Filmhandlung geht es darum, dass ein Autor für ein geplantes Buchprojekt zwei Frauen anheuert, um sie für 5 Tage in einer verließähnlichen Industriebrache gefangen zu halten und sie zu grenzwertigen Erfahrungen zu bringen. Die beiden willigen ein und es stellt sich heraus, dass die beiden sehr verschieden sind, dies sehr zur Freude des Autors und seiner Verlegerin. Der Tanz mit der Göttin Psyche beginnt.

Zur Mitte des Films kommt die Verlegerin auf den zentralen Punkt, die Zeit. Die offensichtliche Begrenztheit des Leidens gibt den Delinquentinnen Kraft. Um den "Gipfel" zu erreichen, muß der Autor also den gesetzten Zeitrahmen brechen. Die Führung entgleitet ihm hernach, die Verlegerin reißt das Heft an sich. Die Frauen werden durch die in Aussicht gestellte Unendlichkeit des Leidens zusehends hysterischer, die Ratio wird verdrängt durch überbordende Emotion.

Die Büßerin

Die Techniken, die der Autor anwendet, um seine Versuchspersonen zu brechen, sind vergleichsweise harmlos, ebenso sind die Fixierungen real betrachtet eher lächerlich. Für das allgemeine Publikum sicherlich ausreichend grotesk, sind seine "Folterungen" für Anhänger der BDSM-Kultur eher harmloses Geplänkel. Aber mehr als das Gezeigte kann Reber auch nicht wirklich bringen, ohne es sich mit dem Durchschnittspublikum vollends zu verscherzen.

Passion

In einem übertragenen Kontext betrachtet stellen die beiden Frauen zwei Teile einer Seele dar. Da ist der zögerliche, verletzliche Teil, und da ist der willige, promethische Teil. Der Autor unterscheidet sie deutlich in den "Interviewszenen" in welchen er seine Fragestellung exakt auf diesen Unterschied (Wille & Liebe) abstimmt. Von der Entschlossenen will er Wahrheiten hören, sachliche, unfragwürdige Tatsachen. Von der Zögerlichen erfragt er Dinge der Liebe, sucht nach tiefen Emotionen. Er geht sogar so weit, von ihr zu verlangen, spontan ein Stockholm-Syndrom zu entwickeln, um ihr die Abstrusität ihres blinden Gehorsams vor Augen zu führen. Den Gipfel inszeniert der Autor, als er mit den Frauen im Wortsinn die Puppen tanzen läßt, eine Szene, die wirklich phantasievoll aufgebaut ist.

Puppentheater

Durch diese Szenen erregt der Film Aufmerksamkeit, wird wohl zu einem weiteren Dorn im Fleisch der Kurie und für ausreichend Gesprächsstoff in den Kolumnen sorgen. Letztlich wird der Autor dann in sein eigenes Spiel hineingezogen, und die Verlegerin verliert jede Zurückhaltung. Sie plant offensichtlich das absolute Extrem, womit sie den Autoren in das Spiel katapultiert. So wird der Spieler zum Gespielten, ohne Chance auf Gegenwehr. Eine Rolle, die ihm sichtlich nicht behagt. Das abschließende Tribunal erinnert trotz puristischer Ausstattung thematisch übrigens sehr stark an den Film THE WALL von Pink Floyd.

Tribunal

Im Gericht gesteht der Autor seine Unfähigkeit, das Spiel zu meistern, ein. Der verhinderte Magus, welchem es nicht gelingt, die Teile einer Seele zu vermählen, der im Abyssos der Unfähigkeit zu versinken droht. Der Zusammenbruch der Zögerlichen bewirkt schließlich, dass es zu einem Ende kommt, das will ich hier jedoch nicht vorweg nehmen.

Abschließende Bemerkungen zum Film:
Nach dem etwas sonderbar anmutenden Auftritt Marina Anna Eichs in dem Filmchen "BREAK" von 2009 zeigt sie im vorliegenden Film, dass sie doch etwas kann. Die Rolle der Mutigen paßt ihr gut, sie bringt die Aufsässigkeit, das "sich-nicht-abfinden-wollen" hervorragend rüber. Im Verlaufe des Films ergattert sie für sich die Hauptrolle.
Julia Jaschke spielt sich hier mutig ins Team, gibt alles und wird so zu einem perfekten Pendant für die Mutige. Ihre Textwiedergabe wirkt sehr authentisch, man möchte der Ärmsten zum Ende des Films gern ein Röhrchen Antidepressiva reichen ;-)
Antje Nikola Mönning kostet die Facetten der Darstellung voll aus, man sieht ihr an, dass sie es schätzt, in Extremen zu agieren. Dennoch wirkt sie an einigen Stellen etwas hölzern. Möglicherweise ist dies jedoch auch der theaterähnlichen Inszenierung geschuldet. Der divenhafte Auftritt der Verlegerin als "dunkler Engel der Erkenntnis" gerät etwas naiv. Für Menschen, die sich real mit dieser geistigen Kraft auseinandergesetzt haben, eine Farce. Aber immerhin, ein netter Versuch.
Christoph Baumann könnte m.E. gern etwas mehr draufgegeben haben. Die Rolle des zunächst berechnenden, mit leichtem Irrsinn vernebelten Geistes paßt gut zu seiner äußeren Erscheinung, will sagen, er wirkt in der Rolle. Aber es hätte gern etwas mehr sein dürfen. Etwas mehr Sarkasmus, mehr Ironie in den Dialogen, und eine Portion mehr ausgestrahlte Dominanz täten der Rolle gut. Diese kleine Schwäche mag dem Umstand geschuldet sein, dass Baumanns Berührungen mit der Dominance/Submission Thematik eher theoretischer Natur sind.

Roland Reber spielt zwischendrin immer wieder mit Kinderreimen und unsinnigen Phrasen, ein roter Faden, der sich durch alle seine Filme zieht. Dies verleiht einigen Szenen einen gewissen infantilen Charme, wirkt jedoch für Kenner aller Reber-Filme eher wie Zweit- und Drittverwertung. Von der "Döner" Szene will ich lieber nicht sprechen... Ich frage mich oft, ob es wohl einfach ist für das Team, ihn als Regisseur zu haben, oder ob das wirklich harte Arbeit ist. Einmal mehr spielt der Regisseur mit der Szene des Verhörs, der Kreuzigung, der Inquisition. Reber begehrt aus einem tiefen Bedürfnis nach Häresie immer wieder gegen klerikale Symbolik auf. Nur, um ergebnismaximiert zu provozieren, oder um eigene Konditionierungen zu konfrontieren? Mit wem redet Reber? Mit dem Publikum, oder mit sich selbst? Erklärt sich Roland Reber die Welt und läßt uns daran voyeuristisch teilhaben, oder belehrt er uns über Sachstände, die ihm längst geläufig sind? Es fällt schwer, als Außenstehender diese Frage zu beantworten. Rebers Filme sind extrem unkonventionell. Nicht so bildgewaltig wie die eines von Trier, dafür aber auch nicht mit dem Budget eines mittelamerikanischen Kleinstaates abgedreht. Was der Regisseur hier mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln ohne Inanspruchnahme öffentlich-rechtlicher Subventionierung auf die Bühne stellt, ist bemerkenswert und verdient merklich mehr als nur "ferner liefen..." Erwähnungen. Rebers Regie ist deutlich vom Theater beeinflußt, das ihm wohl tief im Mark steckt, was dem Film eine erfrischende Andersartigkeit beschert. Nicht unerwähnt bleiben sollte der Umstand, dass dieser Film von Steffen Neder exzellent ausgeleuchtet ist, und dass Mira Gittners professionelle Kameraführung viele zusätzliche dramatische Elemente in die Szenen einbringt.

Making of

Fakten zum Film DIE WAHRHEIT DER LÃœGE:

ein Film von Roland Reber
mit Christoph Baumann, Marina Anna Eich, Julia Jaschke, Antje Nikola Mönning

Deutschland 2011 - Psychodrama, HD, Farbe, 1:1,85, Dolby SR, 98 Min
KINOSTART: 29.März 2012 (Deutschland)

Festivals
Internationale Hofer Filmtage, Okt 2011
International Film Festival of India, Nov 2011
International Chennai Film Festival, Indien, Dez 2011

www.diewahrheitderluege.com

 

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