Roland Rebers: Illusion
(von Olaf Francke)
Der erste Gedanke am Beginn des Filmes war: „Mein Gott, ist Wilbur groß geworden.“ Im übrigen nicht zu übersehen, die Botschaft All Cats Are Beautiful! Have you seen the writings on the wall? Aber im Ernst nun.
Der Reber-Film ILLUSION beginnt zunächst einmal mit einer Abfolge von kurzen Szenarien, die scheinbar wahllos aneinandergereiht wurden. Koitus, Käsekuchen und Kundenhotline. Für das gemeine Durchschnittspublikum wahrscheinlich eher verstörend wird die Banalität menschlichen Daseins kommentarlos zur Schau gestellt, doch wie immer in Rebers filmischen Akten werden diese Unterschiede zusammengeführt, diesmal durch ein schicksalhaftes Ereignis, an dem alle irgendwie partizipieren. Auf die eine oder andere Weise. Zentrales Thema ist zum einen Kommunikation, deren Muster und Umsetzung, zum anderen Phantasie, deren Muster und Erscheinungsbilder. Irgendwo zwischen sexueller Traumwelt und spießbürgerlicher Großmachtphantasie dehnt sich der Handlungsbogen.
Nexus des Films ist „Die Kneipe“ am Bahnhof, Station für Reisende im Zug der Illusionen, hier findet sich die Schnittmenge der gemeinsamen biologischen Nenner. Die Teilhabenden werden empfangen von einer Bardame, einer missgestimmten Sirene, die offensichtlich noch an ihrer Performance arbeitet und uns zum Schluss eine Ahnung von ihrer (Nicht-)Existenz gewährt. Die soziale Interaktion in der Kneipe oder Bar kommt mühsam in Gang, der Prediger philosophiert, der Social Networker kommentiert erregt und altklug das Geschehen, ohne jedoch daran teil zu haben. Ein großes Thema ist Facebook, man darf mutmaßen, dass Reber, der ja selbst über ein Profil dort verfügt, sich davon belästigt und verfolgt fühlt. Baumann in der Rolle des Social Networkers stellt die neugierige Distanz des Netzes zur Realität sehr gut dar.
Ein weiteres Thema, in Rebers eigenem Leben begründet, ist das der Harley-isten, die in selbstironischer Darstellung zu klerikal-verklärten Glitterstatisten karikiert werden. Reber, der gern mit Laiendarstellern arbeitet, verbreitet trotz Skurrilität der Szenerie dennoch eine gewisse Authenzität, die jedoch just in dem Moment, in der sie offen zu Tage tritt, absichtlich konterkariert wird. Soll der Zuschauer sich ja nicht zu sicher sein, er wüsste, was der Filmemacher denkt! Generell erlebt der Regisseur sich selbst, wie in einer Szene kurz gezeigt, als in gewissem Sinne über der Szenerie stehend, distanziert und geschützt von einer mächtigen Twincam-Maschine. Diskussionswürdig hier die Szene, in der er, auf der Harley sitzend, einen (Schutz?)Engel befördert. Tiefes Emotionskino, da bin ich mir sicher.
Auffällig ist, dass Rebers weibliches Ensemble generell einem bestimmten Typus entspricht. Er spielt mit den körperlichen Attributen, deutet dies auch an in einem Dialog. „Ich finde Dich...“ - „Wie?“ - “...interessant.“-“Mich? Oder meine Figur?“ Was ist das? Präferenz, oder Kamelle für die Jecken im Publikum? Das muss wohl jeder Zuschauer für sich selbst abwägen, sollte jedoch aufpassen, hier nicht der eigenen Banalität auf den Leim zu gehen. (Man beachte in diesem Film die Graffiti an den Wänden, wie eingangs bereits bemerkt) Natürlich kann Reber es mal wieder nicht lassen, mit den Vorstellungen „schweinischer“ Sexualität zu spielen, was zum Einen den Unterhaltungsfaktor erhöht, zum anderen natürlich beim Publikum einmal mehr den Finger in die Wunde legt. Was das angeht, ist der ewige Rebell Reber mit seinem Ensemble verlässlich.
Im Verlaufe des Films begegnen uns stets wiederkehrende Elemente wie „Möpse“, Reime, Bildsplitting, buntes Licht, und natürlich „die Insel“. Die Lichtgestaltung von Steffen Neder kennt der Gewohnheitszuschauer ja bereits aus Rebers letztem Film. Sie unterstreicht in den Phantsie-Szenen die Dramatik, manchmal vielleicht etwas zu deutlich. Weniger ist manchmal eben mehr. Viele dieser Szenen werden in einem Abbruch-Set dargestellt, welches wohl die Baufälligkeit fantastischer Konstrukte unterstreicht. Ein weiteres surreales Element ist die oft überdeutlich gezeigte Vermeidung von Blickkontakten zwischen Dialogpartnern, auch hier wird die Distanz zum jeweils anderen nach außen getragen. Ich finde das bildlich konsequent umgesetzt, auch wenn das bisweilen etwas lignindurchtränkt wirkt. Bei genauer seelischer Innenschau mag uns vielleicht sogar auffallen, dass wir uns mitunter ebenso hölzern geben, wie hier darstellerisch gezeigt.
Und da ist er wieder, mitten im Film, der Käsekuchen der Lust, von der Partnerin verschmäht, von der Traumfrau geradezu orgiastisch zelebriert. Es sind die Details, die Rebers Film eng füllen. Also: Uffbasse! Bilder wie "Flennende Frau mit Buddha Statue" sind sowas von typisch für wtp Filme, ich würde fast behaupten wollen, den Buddha hat Mira Gittner da platziert.
Reber ist der Mann mit dem erhobenen Zeigefinger in der Sockenpuppe. Gut, ihm zur Ehre sei der Umstand gereicht, dass er uns nicht nach der Ludovici-Methode aus Clockwork Orange therapiert, aber er benutzt dennoch unsere voyeuristische Neugier, um uns im Publikum gehörig abzuwatschen, so im Vorbeigehen quasi. Geschickt führt er uns durch Verwirrung und Bezugslosigkeit zu einem sich immer mehr verdichtenden Konglomerat aus schmerzhaften Fast-Wahrheiten, das uns als Zuschauer dann elegant aus der common sense Bahn wirft. Sicher, es gibt verlässliche, wiederkehrende Elemente, derer Reber sich in seinen Filmen bedient, ein gewisser roter Faden bzw. Teppich ist es ja auch, der sein gesamtes Werk nicht ganz unbeabsichtigt durchzieht. Was ist sein Auftrag? Wachrütteln. Nach-Denken anregen. Zur Frei-Willigkeit animieren. Selbst-Ehrlichkeit initiieren. Und das macht er verdammt gut. Finde ich.
Mehr Informationen, Kritiken, Kinoplan usw. unter www.illusion-derfilm.com
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